Wie die gesetzlichen Vorgaben zur Chancenfairness in Frankreich bislang umgesetzt wurden – Praxisbericht und Ausblick

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Wie die gesetzlichen Vorgaben zur Chancenfairness in Frankreich bislang umgesetzt wurden – Praxisbericht und Ausblick

In diesem Monat werfen wir nochmals einen Blick nach Frankreich. Nachdem wir uns in dem ersten Newsletter-Beitrag über Frankreich im Februar 2016 auf die Darstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen als theoretischen Ansatz konzentriert haben, möchten wir heute die erreichte Chancengleichheit anhand der Praxiserfahrungen in einem der teilnehmenden Unternehmen, Klinik Richelieu (http://www.clinique-richelieu.fr) in Saintes, beschreiben.

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Hintergrundinformation: Die rechtliche Grundlage in Frankreich

Seit Beginn des Jahres 2012 sind alle Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten gesetzlich verpflichtet, eine Vereinbarung über Chancengleichheit von Frauen und Männern zwischen dem Unternehmen und den Gewerkschaften abzuschließen. Falls dies nicht möglich ist müssen Aktionspläne für das Unternehmen entwickelt, bei der Arbeitsverwaltung des Départements (DIRECCTE[1]) sowie bei der Geschäftsstelle des zuständigen Arbeitsgerichts hinterlegt und ihre Einhaltung von der DIRECCTE kontrolliert werden. Diese Aktionspläne werden jährlich auf Umsetzung hin überprüft, andernfalls werden Geldstrafen verhängt. Die Verhandlungen im Unternehmen zu den Aktionsplänen werden in drei verpflichtende Bereiche unterteilt: jedes Jahr müssen die Bezahlung, die Arbeitszeiten und die Aufteilung der Gewinne neu verhandelt werden, außerdem die berufliche Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern, sowie die Qualität der Arbeit und Erschwerniszulagen. Alle drei Jahre müssen in Unternehmen mit mindestens 300 Beschäftigten die Personalplanung und die Förderung der beruflichen Entwicklung der Beschäftigten neu verhandelt werden. Das Gesetz schreibt vor, dass aus einem Katalog von acht möglichen Aktionsfeldern mindestens drei in den Aktionsplänen behandelt werden müssen: Rekrutierung, Ausbildung, Weiterbildung, Förderung des beruflichen Werdegangs, Eingruppierung, Arbeitsbedingungen, tatsächliche Bezahlung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

 

Das Praxisbeispiel: Klinik Richelieu, Saintes

Die Klinik Richelieu in Saintes ist eine multidisziplinäre chirurgische Klinik, die über 70 Betten und 12 ambulante Behandlungsplätze verfügt. Die zentrale Operationseinheit beinhaltet 7 Säle und einen Aufwachraum mit 10 Plätzen, sowie einen Anästhesieraum. In der Klinik arbeiten 17 Chirurgen und 11 Allgemeinmediziner. Das Angebot wird durch zwei Physiotherapeuten, zwei Radiologenteams und zwei Fachleute für bildgebende Verfahren ergänzt. In der Klinik gibt es eine Apotheke, die sich um alle therapeutischen Belange der Patienten kümmert und die auch die Versorgung der medizinischen Einheiten mit Medikamenten und Hilfsmitteln sichert.

Festzustellen ist, dass das medizinische Personal und die Leitungsebene überwiegend männlich sind, in der Pflege und in der Physiotherapie hingegen überwiegend Frauen arbeiten. Rein zahlenmäßig sind die Frauen deutlich in der Überzahl, allerdings zum Großteil in untergeordneten Positionen.

 

Tarifvertrag in der Klinik Richelieu

Der Aktionsplan wurde im September 2013 verabschiedet und sieht eine jährliche Zwischenbilanz zu folgenden Handlungsfeldern vor:

  • Einstellung / Rekrutierung
    Maßnahme:
    Neutrale Stellenausschreibungen
  • Berufliche Weiterbildung
    Maßnahmen:
    Die Klinikleitung berichtet jährlich über das Verhältnis der Weiterbildungsstunden der beschäftigten Frauen und Männer mit dem Ziel, ein ausgeglichenes Verhältnis herzustellen
  • Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
    Maßnahmen
    zur Verbesserung des Wiedereinstiegs nach der Elternzeit, Abbau von Karrierehemmnissen:
  • Zwei Monate vor dem Ausstieg (Beginn der Elternzeit) werden Gespräche über die Organisation der Arbeitszeit bis zum Ausstieg und die Organisation der Aufgaben während der Elternzeit geführt. Die Personalabteilung informiert die Vorgesetzten einen Monat vor dem Wiedereinstieg zur besseren Planung auf denselben Arbeitsplatz, oder einen ähnlichen Arbeitsplatz mit gleicher Bezahlung. Einen Monat nach dem Wiedereinstieg werden mit den Beschäftigten Gespräche geführt über den Wiedereinstieg, Bildungsbedarfe, notwendige Maßnahmen, Wünsche nach Weiterentwicklung und Mobilität
  • Teilzeitarbeit: die Klinikleitung wird Anträge auf Übergang in Teilzeit wohlwollend behandeln, mindestens 50% der Anträge auf Teilzeit sollen positiv beschieden werden.
  • Arbeitsbedingungen: Information der Beschäftigten über ihre Rechte in Bezug auf Bezahlung, Karrieremöglichkeiten und Rentenfragen bei der Entscheidung über Elternzeit. Es soll verhindert werden, dass Elternzeit sich als Karrierebremse auswirkt. Schulung der Personalverantwortlichen.
  • Bezahlung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Die Unternehmensleitung veröffentlicht den Medianlohn für Frauen und Männer in den einzelnen Eingruppierungen.
  • Umsetzungscontrolling: Jährliche Berichte über die Situation, Vorausplanungen für das kommende Jahr

 

Das Ergebnis

Eine Betriebsrätin stellt im Beratungsgespräch fest, dass die einzige – jedoch sehr wichtige – Verbesserung die Senkung des Krankenstandes der Frauen ist, die in der Klinik weit in der Mehrheit sind. Die Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben eine größere Flexibilität bei der Planung der Arbeitszeiten mit sich gebracht. Die anderen Verpflichtungen und Lösungswege, die lange diskutiert wurden, wurden nicht weiter verfolgt. Lediglich ein obligatorisches jährliches Treffen hat stattgefunden. Es scheint, als würden Themen wie die Arbeitsbedingungen und die Förderung von Frauen in einem fast ausschließlich weiblichen Umfeld unter männlicher Leitung nicht weiter bearbeitet.

(Quelle: Good-Practice-Studie des Projektes SWOPS, erscheint am 18.05.2016. Beitrag von Sigrid Wölfing und France Joubert, CERGE, im März 2016)

An diesem Beispiel wird deutlich, dass Veränderungsmaßnahmen ins Stocken geraten, wenn der „erste Schmerz“ beseitigt ist. In diesem Falle „schmerzte“ der hohe Krankenstand der weiblichen Belegschaft – alles Mitarbeiterinnen, keine Führungskräfte. Dass Vereinbarkeit durchaus auch Männer – Mitarbeiter wie Führungskräfte – angehen sollte, dass die gesetzlichen Vorgaben und Aktionspläne zur grundsätzlichen Überprüfung der Personalstrategie mit Konsequenzen für Personalführung und -entwicklung genutzt werden könnten – dies könnte durch den Gesetzgeber noch deutlicher an die Unternehmensführung kommuniziert werden. Dabei handelt es sich um ein nicht nur in Frankreich bekanntes Phänomen. Umso wichtiger ist der Beitrag der EU, auf das Bewusstsein von Verantwortlichen einzuwirken und die tradierten Rollenbilder, die zu Effektivitätsverlusten in Wirtschaft und Gesellschaft führen, zu überwinden. Frauen und Männer, besser: bereits schon Mädchen und Jungen sollten nach ihren Talenten und Neigungen beurteilt und eingesetzt werden. Schließlich ist es kein Geheinmis mehr: die erfolgreiche Auflösung geschlechtsspezifischer Beurteilungen und Zuschreibungen in Unternehmen hilft auch gegen Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen.

 

Text: Cornelia Felicia Krämer, 1. Vorsitzende BPW Club Berlin, SWOPS Projektmanagement

 


[1] DIRECCTE – Direction régionale des entreprises, de la concurrence, de la consommation, du travail et de l’emploi (Dt.: Regionaldirektion Unternehmen, Wettbewerb, Verbraucherschutz, Arbeit und Beschäftigung)