„Lasst uns Rollenbilder neu denken!“
Führungskräfte schwedischer KMU sind sich einig: Neue (genderneutrale) Wege beim Recruiting bringen Geist und kreatives Potenzial ins Unternehmen
Wie schaffen wir es, mit SWOPS vorgefasste Meinungen und überzeugungen junger Menschen bei der persönlichen Berufswahl positiv zu verändern? Hierzu kamen am 1. September 2015 in Motala, Hauptstadt der schwedischen Provinz östergotland, ein ausgewählter Kreis von Entscheiderinnen und Entscheidern von drei mittelständischen Unternehmen aus der Region zusammen. Diese engagieren sich als Praxispartner aus Industrie, Handel und Pflege im Rahmen des EU-geförderten Strukturwandelprojekts SWOPS, initiiert von BPW Club Berlin e.V.
Junge Menschen wissen heute vergleichsweise wenig über das, was mit dem Eintritt in die Arbeitswelt konkret auf sie zukommt. Stereotype und Klischees spielen eine übergeordnete Rolle bei der Berufswahl. Ein Job in der Industrie – laut, schmutzig, langweilig. Pflegeberufe – unterbezahlte Mitarbeit unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Arbeiten im Einzelhandel – jeden Tag an der Kasse sitzen.
Wie fast überall in Europa stehen auch schwedische Unternehmen vor der Herausforderung, Jobeinsteigerinnen und -einsteigern vor Augen zu führen, wie vielseitig und herausfordernd eine Tätigkeit in einer der genannten Branchen sein kann. In der Industrie gibt es in Schweden ebenso wie im Pflegebereich größte Schwierigkeiten, junge Menschen für entsprechende Ausbildungsplätze und Weiterbildungsangebote zu gewinnen. Die schwedische Regierung hat darüber hinaus einen generellen Mangel an gut qualifizierten Arbeitskräften festgestellt –
zentrales Hemmnis für das nationale Wirtschaftswachstum in Schweden.
Als Zukunftsthema Nummer Eins, den zentralen Schlüssel für mehr qualifizierte Fachkräfte und mehr kreatives Potenzial im Unternehmen, sehen die Führungskräfte der insgesamt vier an SWOPS teilnehmenden KMU in der Neugestaltung von Recruiting-Prozessen. Dies ist das Ergebnis einer Analyse der zuvor geführten Einzelgespräche mit den Führungskräften der Unternehmen, die auf Basis eines von erfahrenen Organisationsentwickler/inne/n eigens erstellten Interviewleitfadens erfolgten. „Wenn wir zehn Arbeitsplätze ausschreiben, erhalten wir zehn männliche Bewerber. Leider interessieren sich Frauen nur selten für Arbeitsplätze in unserer Branche“, beklagt Wiggo Ericsson, Geschäftsführer des schwedischen Unternehmens Holms Industrie. „Bei uns zeigt sich das genaue Gegenteil“, so die Personalverantwortliche Eva Lindquist von Aleris, einem Unternehmen aus dem Gesundheits- und Health Care Bereich, „wir bekommen selten Bewerbungen von Männern. Unsere Branche wird eindeutig von Frauen dominiert.“ Anders Lindblom, Geschäftsführer von östensson, einem Lebensmittelhändler aus der Region Motala: „Wir haben versucht, im Zuge unseres Angebots saisonaler Arbeitsplätze gerade für junge Männer Jobanreize zu schaffen. Zu 90% sind es Mädchen, die sich auf unsere
freien Stellen bewerben. Deshalb hatten wir eine Quote für männliche Young Professionals eingeführt. Das werden wir kein zweites Mal tun, denn wir möchten verhindern, dass hochmotivierte Mädchen von weniger motivierten männlichen Bewerbern verdrängt werden, die dann am Ende womöglich einen weniger guten Job machen.“
SWOPS hat in der Region Motala bewirkt, dass sich die teilnehmenden Führungskräfte zu einem informellen KMU-Cluster zusammengetan haben, das es sich zur Aufgabe macht, junge Menschen für neue Berufsbilder zu begeistern. Gleichzeitig setzen sie sich dafür ein, Jugendliche zu sensibilisieren, wenn es darum geht, stereotype Rollenbilder zu überdenken, um auf diese Weise das Spektrum ihrer Möglichkeiten bei der Wahl eines Ausbildungsplatzes zu erweitern. Die vier an SWOPS beteiligten KMU sind gleichzeitig Mitglied in dem Unternehmens-Cluster für
Standortstärkung der mittelständischen Wirtschaft, Tillväxt MOTALA, in dem etwa 130 kleine und mittelständische Unternehmen Mitglied sind, die auf diese Weise ebenfalls von den aus SWOPS gewonnenen Erfahrungswerten und Erkenntnissen profitieren. „Dank SWOPS sind nun gemeinsame Pläne für neue Vernetzungsmöglichkeiten von Schulen, Bildungseinrichtungen und
Ausbildungsinstituten entstanden“, freut sich Projektleiterin Agneta Larsson. Mindestens ebenso wichtig sei dabei die Einbindung der Medien, um positive Beispiele für moderne innovative Arbeitsplatzgestaltung in der öffentlichkeit bekannter zu machen. „Wir wollen die Stereotypen in den Köpfen junger Menschenebenso auflösen, wie die ihrer Lehrer, Eltern und Vorbilder in ihrer Umgebung“. Alle teilnehmenden KMU entsprechen den schwedischen Gleichstellungsstandards, was die regelmäßige Durchführung von Gehaltsstudien sowie Lohnanpassungen zur
Vermeidung möglicher Ungleichbezahlung beinhaltet. Gleichzeitig unterliegen die Unternehmen einem Gleichstellungsplan, der einer regelmäßigen überprüfung standhalten muss. Neben dem in Schweden großzügig gehandhabten Elternurlaub, der auch „Vätermonate“ beinhaltet, gibt es ein funktionierendes betriebsinternes Kinderbetreuungsangebot innerhalb der Unternehmen und ein breitgefächertes Angebot für weibliche Fach- und Führungskräfte, die auf der Karriereleiter weiter nach oben klettern wollen – anders in der Aus- und Weiterbildung, wo das genderneutrale Angebot in puncto Berufswahl und berufliche Weiterentwicklung noch überschaubar ist und der Handlungsbedarf entsprechend groß.
Agneta Larsson: „Alle Führungskräfte, die bei SWOPS mitmachen, sind optimistisch und freuen sich darauf, den strukturellen Wandel in unserer Region mit dem neuen Tool effektiv voranzubringen. Lasst uns Stereotypen überwinden, indem wir den jungen Menschen griffige Hintergrundinformationen an die Hand geben. Was passiert eigentlich hinter der Unternehmensfassade? Da passieren spannende Sachen! Es bringt Spaß und jede Menge Herausforderungen in Industrie, im Pflegebereich oder im Einzelhandel zu arbeiten. Lasst uns Rollenbilder neu denken.“
Der BPW Club Berlin e.V. hat bei der europäischen Kommission den Antrag auf Förderung von SWOPS im Sommer 2013 mit dem Ziel eingereicht, die Ursachen auszuloten, warum in puncto Chancenfairness in Unternehmen ein nach wie vor eklatanter Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht. Dem ging die Annahme voraus, dass strukturelle Gründe und das Rollenverständnis von Entscheiderinnen und Entscheidern eine maßgebliche Rolle spielen: Ob Geschäftsführer oder Personalmanager – solange diese sich (unbewusst) von
tradierten Rollenbildern leiten lassen, haben männliche Führungskräfte im Unternehmen gute Chancen auf Bevorzugung – sei es bei der Einstellung, bei Beförderungen, Gehaltsanpassungen, Gratifikationen oder Weiterbildungsangeboten. Gleichzeitig gibt es auch bei berufstätigen Frauen verschiedene Ausprägungen tradierten Denkens und Handelns. SWOPS zielt ab auf
die Konzeption eines HR-Tools, welches insbesondere den Ursachen für Ungleichbehandlung in der Arbeitswelt auf den Grund gehen und Kriterien für die Messbarkeit der Auswirkungen entwickeln will.
Text: Clarissa-D. Wilke